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Reformation als europäische Bewegung

Kritik an der katholischen Amtskirche und verschiedene Reformen gibt es im Mittelalter immer wieder. Mit den Vertretern abweichender Lehren und ihren Anhängern geht man allerdings nicht gerade zimperlich um. Viele von ihnen landen dank Zusammenwirkens von geistlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit als Ketzer auf dem Scheiterhaufen. Ein solches Schicksal droht auch Martin Luther, der keinesfalls der einzige Reformator ist. Neben den berühmten Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin gibt es auch in anderen europäischen Ländern verschiedene Reformationsbestrebungen, die sich gegenseitig beeinflussen. Hier einige prominente Beispiele.

 

England zum Ersten: John Wyclif

Missstände in der Amtskirche kritisiert schon im 14 Jahrhundert der Oxforder Professor John Wyclif (ca. 1330–1384), und das keinesfalls zurückhaltend. Mangelnde Disziplin, Ämterhäufung und Verweltlichung – dem gegenüber steht der oftmals verarmte niedere Klerus des Landes. John Wyclif sieht die Amtskirche unter der Herrschaft des Antichristen und lehnt nicht nur den Anspruch des Papstes, sondern auch die Schlüsselgewalt aller Priester ab. Vielmehr betonte er die wichtige Rolle der Heiligen Schrift; außerdem leugnet er die Realpräsenz Christi im Abendmahl.

Papst Gregor XI. ist der Theologe ein Dorn im Auge, aber das Papsttum dieser Tage ist zu geschwächt und Wyclif hat starken Rückhalt. Zu seinen Gönnern zählt Johann von Gent, einer der Söhne des englischen Königs Eduards III. Und seinen einflussreichen Gönnern und der recht starken Unterstützung durch die Bevölkerung mag es John Wyclif verdanken, dass sein Leben nicht auf dem Scheiterhaufen endet, wenngleich der Aufrührerische im Laufe der Zeit aufgrund seiner zunehmenden Radikalisierung an Rückhalt verliert. Er muss sich zwar auf seine Pfarre in Lutterworth (Leicestershire) zurückziehen, kann aber weiter an der Verbreitung seiner Lehre arbeiten. Seinen Anhängern, den Lollarden, ergeht es später weniger gut, denn im 15. Jh. setzt eine Verfolgung durch die englischen Könige ein.

 

Böhmen: Jan Hus und das Konstanzer Konzil

Theologe, Synodalprediger, Beichtvater Sophies von Bayern, der Ehefrau König Wenzels IV. von Böhmen, Rektor an der Karls-Universität in Prag, der ersten Universität nördlich der Alpen – der um 1369 geborene Jan Hus, der auf Tschechisch predigt und wichtige Impulse zur Entwicklung der tschechischen Schriftsprache beisteuert, ist ein angesehener Mann. Das Königreich Böhmen, seine Heimat, ist Teil des Heiligen Römisches Reiches (noch ohne den Zusatz „Deutscher Nation“) und der böhmische König einer der sieben Kurfürsten, die die römisch-deutschen Könige wählen, die wiederum die Kaiserwürde anstreben.

Die Lehren des englischen Theologen John Wyclif haben Jan Hus stark geprägt. Der böhmische Reformator stellt den weltlichen Besitz der Kirche ebenso wie die Praktiken im Ablasswesen infrage, ist gegen Ämterkauf (Simonie), zweifelt die übergeordnete Instanz des Papstes in Glaubensentscheidungen an und vertritt hingegen das Primat der Heiligen Schrift als oberste Autorität. Viele seiner Lehren finden wir später bei Martin Luther wieder, der um 1520 bekennen wird: „Wir sind alle Hussiten, ohne es zu wissen.“

Hus’ Lehren erregen bald großes Aufsehen. Auf ein Predigtverbot folgt im Jahr 1411 die Exkommunikation. Hus muss schließlich Prag und damit seinen Wirkungskreis verlassen, verfasst in der Folgezeit zahlreiche Schriften und zieht als Wanderprediger durchs Land. 1414 wird er vor das Konstanzer Konzil geladen. Dieses Konzil sieht sich gewaltigen Aufgaben gegenüber, u. a. der Beendigung des großen Abendländischen Schismas, das dazu geführt hat, dass erst zwei, zum Schluss gar drei Päpste nebeneinander beanspruchen, der geistliche Oberhirte zu sein. Tatsächlich überwindet das Konzil das Schisma durch die – allerdings nicht ganz unumstrittene Wahl – des alleinigen Papstes Martin V. Für Jan Hus bedeutet das Konzil allerdings nicht nur das Ende seiner Laufbahn, sondern auch das Ende seines Lebens. Obwohl er vom römisch-deutschen König Sigismund eine Zusage für freies Geleit erhalten haben soll, wird Hus festgesetzt und verhört. Da Hus seine Lehren nicht widerrufen will, wird er am 6. Juli 1415 zum Tode verurteilt und verbrannt. Zuvor hat das Konzil noch John Wyclif und seine Lehre posthum verurteilt und die Verbrennung seiner Gebeine angeordnet, was allerdings erst 1428 geschieht. Der Hinrichtung des Jan Hus folgen große politische und militärische Unruhen, die als Hussitenkriege in die Geschichte eingehen.

 

Italien: Savonarola und die „Verbrennung der Eitelkeiten“

Als einer der Vorläufer der Reformation gilt der italienische Dominikanermönch und Bußprediger Girolamo Savonarola. Am 21. September 1452 in Ferrara geboren, steigt er im Florenz der Medici zu großem Ansehen auf. Er nimmt vehement Anstoß am luxuriösen Lebenswandel sowohl der Kirchenleute als auch der reichen Florentiner. Seine Predigten sind geradezu fanatisch, aber erreichen die Massen. Anfang des Jahres 1497 mobilisiert Savonarola eine Schar Jugendlicher, die im Namen Christi durch Florenz ziehen und den Einwohnern alles nehmen, was als Zeichen für einen verwerflichen Lebenswandel gelten kann, von heidnischen Schriften über Schmuck und wertvolle Kleidung, Möbel und Musikinstrumenten bis zu Gemälden. All diese Gegenstände werden öffentlich verbrannt.

Aber die Stimmung in Florenz kippte schließlich gegen den kompromisslosen Prediger, der von Papst Alexander VI. exkommuniziert wird. Am 8. April 1498 stürmt das Volk das Kloster. Savonarola und seine Anhänger werden inhaftiert. Unter der Folter legt der Mönch ein Geständnis ab, das er aber später widerruft. Wegen falscher Lehren zum Tode verurteilt, wird Savonarola am 23. Mai 1498 zusammen mit zwei Mitbrüdern erst gehängt und anschließend verbrannt – auf der Piazza della Signoria, dem gleichen Ort, an dem er vorher die angesammelten Luxusgegenstände und Schriften in der „Verbrennung der Eitelkeiten“ dem Feuer hat übergeben lassen.

 

England zum Zweiten: Heinrich VIII. und die anglikanische Kirche

„Fidei Defensor“– „Verteidiger des Glaubens“: Diesen Titel hat Papst Leo X. dem englischen König Heinrich VIII. (1491–1547) aus dem Hause Tudor für seine Streitschrift über den katholischen Glauben verliehen, die auch die Vorrangstellung des Papstes verteidigt. Dies ist allerdings geschehen, bevor der König beschlossen hat, die Ehe mit seiner ersten Frau annullieren zu lassen, was Papst Paul III. verweigert. Es folgt der Bruch, Heinrich erklärt sich schließlich selbst zum Oberhaupt der englischen Kirche, wenig beeindruckt, dass Paul ihn exkommuniziert und den schönen Titel „Fidei Defensor“ wieder aberkennt. Bis heute führen die englischen Königinnen und Könige diesen Titel bzw. seine weibliche Form „Fidei Defensatrix“ und sie in der Nachfolge Heinrichs Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Der ausgesprochen gebildete Heinrich, der sogar eigene Lieder komponiert, erlangt aber noch aus einem anderen Grund Berühmtheit: Insgesamt sechsmal verheiratet, schickt er zwei seiner Ehefrauen aufs Schafott.

Neben der anglikanischen Kirche gibt es in England im Zeitalter der Reformation auch Anhänger der Reformatoren Zwingli und vor allem Calvin, „Puritaner“ genannt. Viele von ihnen wandern im 17. Jahrhundert nach Amerika aus. Berühmt geworden ist vor allem die Überfahrt der „Pilgrim Fathers“ (Pilgerväter) auf dem Schiff „Mayflower“, das im November 1620 die Neue Welt erreicht. Aus der Prädestinationslehre des Calvinismus, die besagt, dass dem Menschen vorbestimmt ist, ob er verdammt ist oder erlöst wird, entwickelt sich nach Calvins Tod die Vorstellung, dass sich bereits im diesseitigen Leben an Reichtum und Erfolg eines Menschen erkennen lässt, ob er zu den von Gott Begünstigten gehört. Dies hat auch Einfluss auf die Arbeitsmoral der Amerikaner. Man legt sich mächtig ins Zeug, um es zu etwas zu bringen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Die sprichwörtliche Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär als Teil des viel zitierten Amerikanischen Traums erweist sich aber in der Realität dann doch mehr als Wunschtraum.

 

Text: Sabina Schult